Einkaufs- und Ernährungsverhalten nach COVID-19
16. August 2021
- Neue Insights
Frankfurt am Main, 16.08.2021. Snackification, Ghost Kitchens, sofortige Lieferung – durch die erzwungene Veränderung von Ess- und Einkaufsgewohnheiten während der Lockdowns haben der Lebensmitteleinzelhandel und die Gastronomie innerhalb weniger Monate neue Geschäftsmodelle erdacht und unmittelbar umgesetzt. Peter Lammers, Experte für Ernährung und Agrar bei FTI-Andersch, benennt die fünf wichtigsten Trends, welche die Branche zukünftig prägen werden.
„Die Trends waren auch schon vor Corona erkennbar“, sagt Peter Lammers. „Die Pandemie hat ihnen aber die entsprechende Geschwindigkeit verliehen, um sich wirklich in größerer Breite Bahn zu brechen und auszudifferenzieren. Darum gehen wir davon aus, dass diese Trends sich langfristig etablieren werden.“
1. Snackification: Warum Portionen kleiner werden – und trotzdem jeder Snack ein Erlebnis sein muss
Ein großer Anteil der arbeitenden Bevölkerung hat die Lockdowns im Home Office verbracht. Und neben Arbeit, Kinderbetreuung und Home Schooling sowie Haushalt auch noch selbst Essen zubereiten müssen. „Das hat bei vielen den Dreiklang Frühstück-Mittag-Abendessen aufgelöst“, sagt Peter Lammers. „Denn Essen wurde dann zubereitet und verzehrt, wenn gerade Zeit war. Und zwar eher in schneller herzurichtenden, kleineren Portionen.“ Diese ‚Snackification‘ wird von Ernährungsberatern bereits vielfach als gesünder als drei Hauptmahlzeiten empfohlen. Peter Lammers sagt: „Während man Snacks früher eher mit ungesundem Essen in Zusammenhang gebracht hat, ist bei Snackification genau das Gegenteil der Fall. Kleine Portionen mit hoher Qualität setzen sich immer stärker durch – angelehnt an die spanische Tapas- und asiatische Küche.“ Wichtig ist: Es muss trotzdem schnell gehen und einfach sein. „Und im besten Fall liefert es noch ein kleines Erlebnis“, sagt Peter Lammers. Zum Beispiel das Nachwürzen mit mitgeliefertem Würzsalz oder das Verteilen des Dressings. Lammers: „So wie das Home Office nicht mehr verschwinden wird, wird auch dieser Trend nicht verschwinden. Das ist eine große Chance für den LEH und die Gastronomie, ein zusätzliches Angebot zu machen.“
2. Ghost Kitchens: Warum geliefertes Essen nicht mehr auf Fast-Food-Niveau zurückfallen wird – und eine echte Alternative zum Restaurant-Besuch ist
Das Schließen der Gastronomie hat bei vielen Gastronomen zu Verzweiflung geführt. „Und bei vielen zu echter neuer Geschäftigkeit“, sagt Peter Lammers. „Einige Küchen wurden innerhalb von nur ein bis zwei Wochen schon im ersten Lockdown darauf umgestellt, hochwertiges Essen lieferfertig zu machen. Eine zuvor nahezu undenkbare Entwicklung, künftig mit dem Pizza- und Döner-Lieferdienst zu konkurrieren.“ Weitere Küchen haben nach dem Sommer 2020 nachgezogen. In nahezu allen Ballungszentren haben in den Lockdowns auch die Sterne-Köche ihre Kreationen zu Mitnahmevarianten optimiert. Peter Lammers sagt: „Während die Sehnsucht nach auswärtigem Essen gestiegen ist, stellte sich parallel das Gefühl ein, zu Hause richtig gut und hochwertig Speisen zu können – ohne selbst Kochen zu müssen. Eine Erfahrung, die viele Menschen auch nach einem Ende der Pandemie weiter machen wollen.“ Besonders in den USA haben viele Gastronomen so genannte ‚Ghost Kitchens‘ (auch ‚Dark Kitchens‘ oder ‚Cloud Kitchens‘) eingerichtet: also Küchen, die ausschließlich für das Liefern oder Mitnehmen von Gerichten spezialisiert sind. „Ghost Kitchens sind eine große Chance für Gastronomen, neben Innenraum und Terrasse künftig zusätzliches Umsatzpotenzial zu erschließen. Und es bietet auch denjenigen Küchen eine große Chance, die vielleicht keine optimale ‚Location‘ anmieten konnten. Ghost Kitchens werden die Gastronomie auf die nächsten Jahre deutlich verändern.“
3. Von ‚Bio‘ zu ‚Bio & Regional‘: Warum regionale Identifikation immer wichtiger wird – und Reisen in der Zukunft dieses Gefühl nur verstärken werden
Reisen ist seit Beginn der Corona-Pandemie zum seltenen Ausnahmezustand geworden. „Das hat bei vielen Menschen dazu geführt, dass sie sich deutlich mehr mit ihrer unmittelbaren Umgebung beschäftigt haben“, sagt Peter Lammers. „Und plötzlich all die regionalen Versorger, Bauernlädchen und Marmeladen-Produzenten entdeckt haben. Mit dem gesparten Urlaubsgeld in der Tasche, haben sie gerne die teureren regionalen Produkte gekauft und damit gleichzeitig das Gefühl erworben, etwas Gutes für ihre unmittelbare Lebensumgebung getan zu haben.“ Der Trend der Regionalisierung ergänzt dabei die seit Jahren anhaltende Entwicklung, gesündere Lebensmittel zu erwerben. „Wenn ‚Bio‘ vor Ort erfahrbar gemacht wird, dann ist die Kaufbereitschaft noch deutlich größer als bisher. Viele Supermärkte haben darum heute nicht nur Bio-Lebensmitteln, sondern regionale Erzeugnisse im Sortiment und weisen das auch extra aus. Immer mehr Gastronomen benennen die exakten Produzenten von Fleisch und Gemüse, zum Beispiel in der Spargelzeit. Das hat zu einer echten Markenbildung geführt.“ Der FTI-Andersch-Experte geht nicht davon aus, dass sich dieser Trend beim Wiederaufnehmen der Reisetätigkeiten umkehren wird. Lammers sagt: „Im Gegenteil. Viele werden stolz auf das Entdeckte und Erlebte in der Heimat verweisen, Gastgeschenke machen. Und sich bei Rückkehr darauf freuen, wieder ‚ihre‘ Lebensmittel verzehren zu können.“
4. One-Stop-Shop: Warum Supermärkte nicht mehr nur Warenlager sein dürfen – und sie von den Fehlern der Warenhäuser lernen müssen
Das Ende der Warenhäuser kam nicht plötzlich – nur für die Betroffenen. In Wahrheit hatte sich das Einkaufsverhalten der Menschen längst geändert. Boutiquen, ausgefallene Stores, Erlebnisse. All das, was Warenhäuser nicht mehr liefern konnten. „Bis auf diejenigen, die diesen Trend verstanden haben und darauf aufgesprungen sind“, sagt Peter Lammers. „Indem sie Store-in-Store-Konzepte, spezielle Brand-Promotions oder ein Spitzenrestaurant auf der Großfläche untergebracht haben.“ Einen ähnlichen Trend könnte die Corona-Pandemie auch für Supermärkte verstärkt haben. In der Zeit, wo Einkaufen zur Gefahrenzone erklärt wurde, wollten viele vor allem eins: mit einem Einkauf alles erledigen. „Immer mehr Supermärkte gehen dazu über, die hier schon erwähnten regionalen Produkte in gesonderten Auslagen anzubieten: ob in der Ecke für Marmeladen, an der Sondertheke für in der Eifel geschossenes Wild oder gleich im Sushi-Laden mit eigener Marke. Sie machen es Menschen damit leichter, bewusst die hochwertigen Lebensmittel an einer zentralen Stelle zu erwerben, anstatt in viele verschiedene Läden zu fahren. Langfristig wird es Supermärkte geben, die sich stärker den Discountern angleichen. Und welche, die Märkte im Markt ermöglichen werden: mit eigenen Theken, Bereichen und Personal.“ Ein Beispiel: in Düsseldorf ist in einem Edeka-Supermarkt das 1-Sterne-Restaurant ‚Setzkasten‘ untergebracht.
5. Lieferung Sofort: Warum eine mehrtägige Vorbestellung bald nicht mehr akzeptiert wird – und Startups diese Lücke füllen werden, wenn es der Handel selbst nicht macht
Steckte die Lieferung von Lebensmitteln vor der Corona-Krise noch in den Kinderschuhen, brach sie unter einer überbordenden Nachfrage im ersten Lockdown zunächst nahezu zusammen. Siekonnte sich über die Monate der Pandemie derart entwickeln, dass heute mit zwei bis drei Tagen Vorbestellung eine verlässliche Lieferung möglich ist. Peter Lammers sagt: „Das hilft vielen Menschen schon deutlich, ihre Einkaufszeit zu verkürzen. Aber es hat den Nachteil, dass viel im Voraus geplant werden muss. Sobald das Land aber großflächig wieder öffnet, werden Menschen wieder deutlich spontaner Einkaufs- und Essensentscheidungen treffen wollen.“ Darum haben Start-Ups wie ‚Flaschenpost ‘oder ‚Gorillas‘ Einkäufe möglich gemacht, die innerhalb weniger Stunden oder sogar Minuten ausgeliefert werden. „Diese Angebote sind noch im Anfangsstadium und nicht in der Breite verfügbar“, sagt Peter Lammers. „Es gibt Einschätzungen, dass sie nicht wirtschaftlich sind und sich deshalb nicht tragen werden. Wer aber in andere Regionen dieser Welt wie Asien schaut, der weiß, dass diese Angebote dort seit Jahren Realität sind. Es steht darum außer Frage, dass sich diese Entwicklung auch in Deutschland durchsetzen wird – die Frage ist, wie schnell es geht. Gerade Lebensmitteleinzelhändler haben jetzt noch die Chance, diese Entwicklung selbst mitzugestalten, indem sie ihre Abläufe radikal optimieren und ihre Reichweiten ausweiten. Sonst könnten sie das Liefergeschäft mittelfristig an Drittanbieter verlieren.“
Weitere Einblicke in Trends und Entwicklungen gibt die neue Untersuchung ‚Einkaufs- und Ernährungsverhalten post Covid-19: Was verändert sich, was bleibt?‘ der Unternehmensberatung FTI-Andersch. Die Unterlage erhalten Sie hier zum Download (Seitenende).
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